281 Milliarden Dollar jährlich – so viel erzielt Umweltkriminalität nach Schätzungen jährlich. Damit ist sie inzwischen der drittgrößte illegale Markt der Welt. Die erste Folge dieser Serie beleuchtet, wie ein deutsches Unternehmen den Schmuggel von Quecksilber durch ein Geflecht von Firmenstrukturen verschleierte.
Hinter vielen großen Umweltverbrechen verbirgt sich ein sorgfältig errichtetes Unternehmensnetzwerk. Als das deutsche Entsorgungsunternehmen DELA zwischen 2011 und 2014 mindestens 800 Tonnen hochgiftiges Quecksilber schmuggelte, geschah das nicht im Verborgenen. Der Handel lief über legale Recyclingfirmen, die gezielt unterschiedliche Gesetze einzelner Länder ausnutzten.
Das Geschäftsmodell von DELA war simpel: Die Firma nahm Quecksilberabfälle verschiedener Unternehmen entgegen und berechnete für deren Entsorgung rund zwei Millionen Euro. Als die Europäische Union 2011 den Export von Quecksilber untersagte, entwickelte sich DELA zur zentralen Anlaufstelle für überschüssiges Quecksilber aus der Chlor-Alkali-Industrie.
Eigentlich sollte DELA das giftige Metall durch die Zugabe von Schwefel in ungefährliches Quecksilbersulfid umwandeln und anschließend sicher in Salzbergwerken einlagern. Stattdessen verschiffte die Firma reines Quecksilber, getarnt als Abfall mit geringer Konzentration, an ein Schweizer Recyclingunternehmen. Um die Zollbehörden zu täuschen, wurden die Container mit Erde abgedeckt. Anschließend verkaufte eine weitere Schweizer Firma das Quecksilber weltweit – für bis zu 85.000 Dollar pro Tonne. Weitere Lieferungen gingen in die Niederlande und nach Griechenland. Später stellten Ermittler fest, dass DELA-Quecksilber auch in der Türkei, in Singapur und an weiteren Orten gelandet war.
Die Geschäfte von DELA waren ebenso lukrativ wie illegal. Zwischen 2011 und 2014 kassierten die beiden Geschäftsführer zusammen rund 22 Millionen Euro. Einer von ihnen investierte einen Großteil seines Anteils in Immobilien auf Sylt. Um die Geldflüsse zu verschleiern, wurden Teile der Gewinne über die Tradingfirma eines Treuhänders geleitet, der 2013 starb.
Die Aufdeckung des Quecksilberschmuggels
Aufgedeckt wurde der Schmuggel durch mehrere Ermittlungsansätze: Schweizer Exportstatistiken erregten Aufmerksamkeit, weil sie zwischen 2011 und 2013 auffallend hohe Quecksilbermengen auswiesen. Der eigentliche Durchbruch kam jedoch Ende 2013 zufällig zustande. Die Bochumer Staatsanwaltschaft stieß damals im Rahmen einer anderen Untersuchung auf einen anonymen Brief. Darin wurden DELAs illegale Aktivitäten beschrieben – woraufhin Fabriken, Büros, Lagerhallen und Privatwohnungen durchsucht wurden.
Die beiden DELA-Geschäftsführer erhielten Haftstrafen von dreieinhalb sowie drei Jahren und neun Monaten. Das Unternehmen ging insolvent und wurde von Remondis übernommen. Die beteiligten Schweizer Firmen bestritten jede Verantwortung oder verweigerten die Aussage vor dem deutschen Gericht. Die Niederlande schickten 98 der 270 Tonnen Quecksilber zurück, die sie zuvor erhalten hatten; Griechenland gab 36 von 150 Tonnen zurück. Das zurückgeführte Quecksilber wurde, wie ursprünglich vorgesehen, in eine ungefährliche Verbindung umgewandelt und anschließend in Salzbergwerken gelagert.
Noch brisanter machte den Fall die politischen Verbindungen einiger Beteiligter. Stephan Holthoff-Pförtner, bis 2022 Europaminister in der nordrhein-westfälischen Landesregierung, hielt seit Gründung der DELA 50 Prozent an der Firma. Trotzdem wurde er während der Ermittlungen nie von der Staatsanwaltschaft vernommen, wie WELT aufgedeckt hat. In einer Mail aus dem Jahr 2015 hielt ein Kripo-Beamter fest, dass ein DELA-Gesellschafter „auf (bundes-)politischer Ebene Akzeptanz genießt". Einer der Staatsanwälte, die zu Beginn ermittelten, wirkte später zudem an der parlamentarischen Untersuchung des Falls mit. Der dadurch entstandene Interessenkonflikt wurde zwar angesprochen, aber nicht ausgeräumt.
Ein Milliardengeschäft im Schatten
Die Unternehmensstrukturen hinter Fällen wie DELA sind kein Zufall – sondern Strategie. Umweltkriminalität erwirtschaftet laut Interpol jährlich bis zu 281 Milliarden Dollar. Sie hat damit Menschenhandel überholt und ist zum drittgrößten kriminellen Sektor der Welt aufgestiegen – nach Drogenhandel und Produktpiraterie.
Für die organisierte Kriminalität sind dabei nicht nur die enormen Gewinne attraktiv, sondern auch, dass die Taten schwer aufzudecken, zu verfolgen und zu bestrafen sind. Kriminelle haben erkannt, dass undurchsichtige Unternehmensstrukturen etwas bieten, das effektiver sein kann als Waffen oder Bestechungsgelder: Unsichtbarkeit. Die eigentlichen Drahtzieher – die Eigentümer, Finanzierer und Strippenzieher – bleiben geschützt. Illegale Gewinne werden über komplexe Strukturen an sie zurückgeleitet, während Staatsanwälte ihre Strohmänner verfolgen.
Der DELA-Fall ist nur ein Beispiel dafür, wie Umweltkriminalität über Unternehmensstrukturen organisiert wird. Und er ist nicht der einzige, der durch Gesetzesänderungen ausgelöst wurde. Als China 2018 die Einfuhr von Plastikmüll verbot, suchten europäische Abfallexporteure rasch neue Entsorgungswege in Südostasien.
Wie diese Verschiebung die globale Umweltkriminalität weiter befeuert hat, ist Thema von Teil zwei.